Sonntag, 2. April 2017

Instrumente für Kinder - so wichtig. Und so schwierig

Ich habe heute ein wunderschönes Konzert erlebt. Meine Tochter lernt Geigespielen in der Jugendmusikschule Hamburg und macht bei einem Orchester mit, das ein großes Konzert mit und für Rolf Zuckowski (Held meiner Kindheit), die "Vogelhochzeit", gegeben hat. Toll. Tolle Musik und das sage ich ziemlich objektiv, ich hab auch schon Konzerte durchgestanden, die mehr auf die Elternliebe der Zuhörer gesetzt haben als auf die Schönheit der Musik. Gerade Streichinstrumente können ja gern mal zu "Katzenmusik" führen - das war heute überhaupt nicht der Fall!

Von daher: ganz großartig. Riesen-Einsatz der Jugendmusikschule, jede Menge Wochenendarbeit haben die auf sich genommen, die verschiedenen Orchester, Chöre und Tanzgruppen koordiniert, damit wir ein schönes Erlebnis hatten.

Natürlich hab ich hin und wieder gestöhnt, wenn wir mal wieder zur Probe ans andere Ende der Stadt fahren musste, aber hey, macht man halt. Alles gut. Kein Ding.

Außer, dass es eben doch ein Ding ist. Ja, ich hab das alles gemacht. Weil ich es kann. Weil wir ein Auto haben. Und Geld. Und Zeit. Und weil ich "weiß", dass Musik wichtig und gut für mein Kind ist.

Diese Möglichkeiten hat aber nicht jeder.

Es fängt an der Basis an:

  • Das Instrument

Gibt es in der Schule eines zum Leihen? Bei uns ja, aber nur in begrenzter Anzahl und auch nur Streichinstrumente, und auch nur, wenn man bereit war, seine finanziellen Verhältnisse offenzulegen.

Bei den Bläsern muss man selber kaufen oder mieten. Wobei wir dann gelernt haben, dass Mieten auf lange Sicht teurer ist als kaufen - aber auch das muss man sich ja erst mal leisten können. Das Saxophon zu mieten kostete im Vierteljahr 45 Euro. Plus Endreinigung, Versicherung, und natürlich Kaution, die man nach Rückgabe irgendwann ein halbes Jahr später zurückbekam. Wenn man mal eben auf 90 Euro verzichten kann, kein Problem. Sonst schon.


  • Der Untericht
Wird Unterricht in der Schule gegeben? Auf welchem Niveau? Kann das Kind dabei überhaupt Spaß am Musizieren bekommen oder wird externer Unterricht vorausgesetzt? Bei den Blasinstrumenten hat mein Kind in über einem Jahr Unterricht exakt vier Töne spielen gelernt. Beim Saxofon, was jetzt nicht das allerkomplizierteste Instrument ist. Im Ernst, beim Abschlusskonzert konnte sie bei "Frère Jacques" nur den ersten Teil spielen, der zweite Teil hatte ja Noten, die sie offiziell noch nicht konnte. Es gab Mitspieler, die durften auf der Bühne nur jeweils einen Ton von sich geben. Also etwa "C, C, C, C, C". Na klar ist das nicht allein Schuld der Lehrperson. Aber Spaß am Instrument wird so  nicht geweckt, das dürfte wohl jedem klar sein.

Wenn externer Unterricht genommen werden soll: Wo liegt die Musikschule? Kann das Kind sie allein erreichen oder müsste es gebracht werden (ist natürlich auch eine Altersfrage)? Wenn gebracht: Wer kann es bringen? Wie teuer ist der Unterricht? Gibt es Rabatt/die Möglichkeit, über Leistungen nach Bildungs- und Teilhabepaket teilzunehmen? Wird das offen und sofort kommuniziert? Wenn Orchesterteilnahme möglich ist: Wo und wann proben die Orchester, wie erreichbar sind die? Wir haben Glück, das Orchester meiner Tochter probt an ihrer eigenen Schule. Selbstverständlich ist das nicht, es gibt Orchestermitglieder, die aus Wilhelmsburg und anderen Stadtteilen extra anreisen. Außer ihr kommen nur zwei oder drei aus dieser Schule, alle anderen haben einen weiteren Weg.

  • Aufführungen und Konzerte
Und nun das Sahnestück. Das Kind darf die Früchte seiner Arbeit ernten, zeigen, was es gelernt hat. Und da wieder diese Fragen: Wo ist der Proben- und Aufführungsort? Von Harburg (unserem Wohnort) an den Mittelweg nach Pöseldorf ist es ziemlich weit. Wir haben Glück und haben Zeit und ein Auto. Ob ich den Weg auch mit Öffentlichen Verkehrsmitteln gemacht hätte? Ich will es hoffen, könnte es aber nicht beschwören. Vor allem, wenn die Probe fünf Stunden dauert und man aber aufgrund der Entfernung nicht mal eben zwischendurch wieder heimfahren kann. Fünf Stunden können selbst an der Alster seehr lang werden.

"Konzertkleidung schwarz" wurde vorgeschrieben. Natürlich sieht das toll und einheitlich aus, wenn alle die gleiche Farbe tragen. Aber schwarz? Bei Elfjährigen? Wir hatten mit Glück ein einziges schwarzes Oberteil schon im Schrank, eine Hose haben wir dann extra dafür gekauft. Ja genau, weil wir das Geld haben, was für ein Glück. Auch der Eintrittspreis von 7,50 Euro für die Begleitperson des Kindes hat uns nicht geschockt - aber wir müssen eben auch nicht von staatlichen Leistungen leben, bei denen solche Mehrausgaben nicht eingeplant sind. Welche Leute ich da treffe und ob ich mich am Konzertort überhaupt wohlfühlen kann oder mich nicht ganz zugehörig fühle - da kann ja sogar ich ein Lied von singen. So viele wohlgestylte Eltern, die alle, wie es sich gehört, schon vor Monaten die Konzertkarten für die gesamte Familie samt Oma, Opa und Tante gekauft hatten (und nicht so unorganisiert wie wir zwei Wochen vor Aufführung feststellten: Längst ausverkauft), da merke ich sofort, dass mein Pulli ein Loch hat und ich leider ungeschminkt bin.

Um nicht im Negativen zu enden, hat es mich sehr gefreut, dass Rolf Zuckowski offensichtlich und schon vor längerer Zeit zu ähnlichen Schlüssen gekommen ist, was die Zugänglichkeit von Musikunterricht in Deutschland angeht. Und deshalb hat er eine Stiftung gegründet. Kinder brauchen Musik. Denn meckern ist immer einfach, machen nicht. Danke, Rolf Zuckowski.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen